Veranstaltung 50. Jähriges Besatehen Dr. Jörn Barfod - Herder Bibliothek

Direkt zum Seiteninhalt
Dem Osten zugewandt....
Vortrag von Dr. Jörn Barfod im Juni. 2022                                                                      


50 Jahre Johann-Gottfried-Herder-Bibliothek Siegerland e.V.

 
 
Herder: Ein deutscher Dichter, Übersetzer, Theologe sowie Geschichts- und Kultur-Philosoph der Weimarer Klassik

 
 
Die Führung durch die Feierstunde erfolgte durch Dr. Dietmar Gorski - das Grußwort durch den Dezernenten Arne Fries als Vertreter der Stadt Siegen - Musikalische Umrahmung durch das Trio „Via Antiqua“

von Frau  Röcher - Ehrhardt
 

 
Weidenau. Johann Gottfried Herder! Bitte wer? So werden vermutlich heutzutage leider nicht nur viele Bürger aus eher bildungsfernen Schichten fragen. Auch für Studierende außerhalb von Germanistik, Literatur und Philosophie darf sicherlich nicht mehr damit gerechnet werden, was der einstige Vertreter des deutschen Idealismus und Autor der berühmten Liedersammlung „Stimmen der Völker in Liedern“ Ende des 18. Jahrhunderts für Meilensteine in der Geschichte der deutschen Kultur schuf. Herder, geboren 1744 in Mohrungen im Südwesten der ehemals preußischen Provinz Ostpreußen, war sowohl ein Wegbereiter der west- und südslawischen Wiedergeburt als auch ein Vordenker in Sachen europäischer Verständigung überhaupt! Bestätigt wird dies auch von Prof.Dr. Marion Heinz im Heft Nr. 26 der Reihe „Gesellschaft, Staat, Nation“ im Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften: „Herder habe sozusagen vorgreifend den universalen Menschenrechten das Recht der Kulturen und Völker auf Selbstbestimmung gegenübergestellt“. Herder (Studium der Theologe an der Albertus-Universität im damaligen Königsberg, gefolgt von einer Erstanstellung in der lettischen Hauptstadt Riga). Dabei schlug sein Herz schon recht früh für die Ukraine, in der er am Horizont ein neues Griechenland entstehen sah. Wie mag wohl Wladimir Putin diese Sätze aufgenommen haben, falls er sie denn zu lesen bekommen haben sollte?

 
 
„Die Ukraine wird ein neues Griechenland werden: Der schöne blaue Himmel dieses Volkes, ihr lustiges Wesen, ihre musikalische Kultur, ihr fruchtbares Land usw. werden einmal aufwachen: Aus so vielen kleinen Völkern, wie es die Griechen vormals auch waren, wird eine gesittete Nation werden: Ihre Grenzen werden sich bis zum Schwarzen Meer hin erstrecken und von dahinaus durch die ganze Welt.“   

 
 
Und damit gilt es einen Bogen zu schlagen zum 24. Februar 2022, dem Tag des Einmarschs der russischen Armee in die Ukraine. Bis dahin waren vermutlich großen Teilen der heutigen Untersechzigjährigen auch in unserer heimischen Region Begriffe wie Ostpreußen, Niederlausitz, Wartheland, Schlesien und Mittelosteuropa fast gar nicht mehr bekannt. Seit dem 3. Oktober 1990 stellt die Oder-Neiße-Linie die Ostgrenze zu Polen dar, und dahinter verbirgt sich vor allem für die Jüngeren eher nur sehr unbekanntes Terrain! Kein Wunder, denn mit Beginn der Kanzlerschaft Konrad Adenauers ging der deutsche Blick - trotz späterer Wiedervereinigung - für über sieben Jahrzehnte primär Richtung Westen: Einerseits zum einstigen Erbfeind Frankreich und andererseits vor allem zu den Vereinigten Staaten in Amerika mit seinem „American Way of Life“! Mit Frankreich strebte man nach jahrhundertelangen blutigen Auseinandersetzungen endlich die Versöhnung an; und die USA fungierten als die großen Beschützer gegenüber der kommunistischen Sowjetunion.

 
 
Hinter der Oder-Neiße lag bis zur neuen Ost-Politik Willy Brandts für das Gros der alten Bundesrepublik quasi ein weißer Fleck auf der Landkarte. Nur die Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und die bis zum Mauerbeginn 1961 immer größere werdende Zahl an DDR-Flüchtlingen hielten den Blick nach Osten weiterhin konsequent wach. Nicht zuletzt angetrieben vom Heimweh in die dortigen ehemaligen deutschen Städte und Dörfer.

 
 
Und dennoch war es ausgerechnet ein Siegerländer, der laut Satzung am 27. September 1972 die Johann-Gottfried-Herder-Bibliothek Siegerland e.V. aus der Taufe hob: Nämlich der damalige Oberstudiendirektor Karl-Heinz Weber vom Weidenauer FJM-Gymnsium. Danach langjähriger 1. Vorsitzender und Ehrenmitglied, so jetzt Dr. Dietmar Gorski, der derzeitige 1. Vorsitzende der Herder-Bibliothek, in seiner Begrüßungsrede zum 50-jährigen Jubiläum in der Weidenauer Bismarckhalle im Beisein von 35 Zuhörern. Als erfahrener Pädagoge für Deutsch, Literatur und Geschichte habe Weber zu Beginn der 1970er Jahre ganz offensichtlich die Sorge umgetrieben, dass die Kultur und Geschichte der historischen deutschen Ostgebiete und von Osteuropa der breiten Öffentlichkeit gegenüber immer mehr dem Vergessen preisgegeben wurden, so Gorski in seiner Einleitung. Sein Fazit: Damals muss Weber zu der Erkenntnis gelangt sein, dass die Bundesrepublik zu Zeiten des Kalten Krieges zwar gesetzlich und auch materiell sich für den Erhalt der Geschichtskenntnisse über diese Region einsetzte, aber es doch zugelassen habe, dass die Geschichte und Kultur ehemaliger deutscher Gebiete und Osteuropas nicht nur nicht im Mittelpunkt der schulischen Ausbildung stand, sondern auch in der Medienlandschaft ein extremes Schattendasein führte.

 
 
Gorski weiter; „So lautet folgerichtig der §2 der Herder-Bibliothek-Satzung: (1) Der Verein hat sich das Ziel gesetzt, das deutsche und fremdsprachige Schrifttum aus den historischen deutschen Ostgebieten, aus Ostmitteleuropa und Osteuropa … zu sammeln und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
 
(2) Er will unter Berücksichtigung des § 96 BVG Vorträge, kulturelle und ähnliche Veranstaltungen durchführen, um Erkenntnisse über die Völker, Kulturen und Probleme der oben angeführten Räume zu vermitteln. Grenzüberschreitende Kulturarbeit ist eingeschlossen.“

 
 
Gorskis Resümee: „Diesen Satzungsvorgaben und dem Willen an die alte Heimat von 13 Millionen deutscher Vertriebener zu erinnern sei die Herder-Bibliothek über Jahrzehnte mehr als gerecht geworden. Dank Webers sehr großem persönlichen Einsatz habe sich die Stadt Siegen veranlasst gesehen für entsprechende Räumlichkeiten zu sorgen. Ab dem 1.10.1976 standen daher der Herder-Bibliothek das Dachgeschoss der Volkshochschule in der Weidenauer Bismarckstraße dauerhaft „auf unbestimmte Zeit“ und kostenlos zur Verfügung“, so der 1. Vorsitzende weiter.
 

 
Dass es sich bei dem Projekt Herder-Bibliothek um eine Erfolgsgeschichte handelt, davon zeugt auch ein Blick in die Festschrift zum 35-jährigen Jubiläum 2007: Insgesamt sind dort über 400 Veranstaltungen aufgelistet, davon 334 Vorträge; darüber hinaus 50 000 Besucher, also ca. 1 400 jährlich, sowie 50 000 ausgeliehene Bücher. Bis 2007 war die Bibliothek auf ca. 30 000 Bände angewachsen. 2012 erfolgte dann der Verkauf des Gebäudes der Stadt Siegen an das DRK, die ganz große Zäsur in der Geschichte der Herder-Bibliothek, da es der Stadt Siegen nicht gelang für adäquaten Ersatz zu sorgen, was noch heute all diejenigen, die von Anfang an dabei waren ganz besonders schmerzt.

 
 
Denn für ein Großteil der Bücher konnte kein Ersatzplatz gefunden werden. Die wertvollsten Bücher gingen an die Bibliothek des Konservativismus in Berlin sowie an die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder, da die heimische Universitätsbibliothek für die umfassende Büchersammlung leider keine Verwendung sah (Anmerkung der Artikel-Schreiberin: Vielleicht würde man dies heute im Zuge des Krieges in der Ukraine anders bewerten!). Letztlich musste ein Großteil des Bücherbestands vernichtet werden, für den der Verein auch noch 10 000 € bezahlen musste.

 
 
Gorski kam nicht umhin, in diesem Zusammenhang anzumerken: „Das erinnert schon an dunkle Zeiten!“ In diesem Zusammenhang erinnerte Gorski noch einmal eingehend an den vor kurzem verstorbenen Ehrenvorsitzenden Hans Heinrich Thomas und dessen Rettungsaktion 2011, der somit die Auflösung des Vereins verhindert habe. Ein kleiner Restbestand fristet nun sein Dasein im sehr abgelegenen Siegener Seilereiweg in den Räumlichkeiten des BdV in der Fludersbach, weshalb nach wie vor dringend zentralere Räumlichkeiten gesucht werden. Nicht zuletzt vielleicht sogar in innenstädtischer Uni-Nähe mit „Café-Anschluss“, wo zudem die junge, nun auch mehr Ostmittel- und Ost-Europa-affine Leserschaft einen schnellen Blick hineinwerfen kann.

 
 
Vorträge werden seit dem Wegfall des Standorts Bismarckstraße notgedrungen in der nahgelegenen Bismarckhalle abgehalten. Vor dem Festvortrag mit der Überschrift „Johann Gottfried Herder und die deutschen Ostgebiete“ (gehalten von Dr. Jörn Barfod, dem Kustos am Ostpreußischen  Landesmuseum Lüneburg; Schwerpunkte  Kunst und Kulturgeschichte) erging des weiteren ein Grußwort von Arne Fries, dem Beigeordneten der Stadt Siegen, der in diesem Zusammenhang wie bereits zuvor schon bei anderen Gelegenheiten nochmals versicherte mithelfen zu wollen in Sachen neuer fester Standort für die Herder-Bibliothek, damit nicht zuletzt mehr Jüngere den so wichtigen Faden der Erinnerung an die Geschichte und Kultur des deutschen und des europäischen Ostens nicht abreißen ließen.


Bericht aus der Siegener Zeitung vom 14.07.2022

50 Jahre Herder-Bibliothek: Wie geht es weiter?


Es ist fraglich, wie lange 800 Jahre deutsche Geschichte den Siegenern noch erhalten bleiben




DR. DIETMAR GORSKI, VORSITZENDER DES VEREINS DER JOHANN-GOTTFRIED-HERDER-BIBLIOTHEK,
SETZT SICH SEIT JAHRZEHNTEN FÜR DEN ERHALT OSTEUROPÄISCHER GESCHICHTE EIN. FOTO: ARCHIV

slsSIEGEN. Fünf Jahrzehnte Geschichte stehen zu Buche – aber wie geht es in Zukunft weiter? Die Mitglieder des Vereins Johann-Gottfried-Herder-Bibliothek Siegerland stellen sich diese Frage im Jahr des 50-jährigen Bestehens. Obwohl Freude vor dem Hintergrund zahlreicher Erfolge begründet wäre, ist dem Vorstand wenig zum Feiern zumute. Denn: Im Gespräch mit der SZ spricht der Vorsitzende Dr. Dietmar Gorski zwar zum einen über die Ziele der Bibliothek, äußert sich andererseits aber besorgt über die Zukunft der Büchersammlung.


Die grundlegende Ideologie des Vereins habe der Namensgeber der Bibliothek vertreten. „Der Theologe und Philosoph Johann-Gottfried Herder legte Wert auf seine Auffassung, dass jedes Volk wie ein Teil des Körpers sei. Jedes davon müsse gleichberechtigt sein“, erklärt Gorski. Herder habe viele Begegnungen mit verschiedenen Kulturen gehabt und die Wichtigkeit europäischer Beziehungen frühzeitig erkannt. Ziel der Siegener Bibliothek sei es heute, über die Vergangenheit dieser Verhältnisse, besonders im osteuropäischen Raum, aufzuklären.


„Wir sehen unsere Aufgabe darin, 800 Jahre deutsche Geschichte aufrecht zu erhalten und ein heimisches Bildungsangebot sicherzustellen“, erklärt Gorski. Dies gewinne vor dem Hintergrund des demografischen Wandels an besonderer Bedeutung. „Das Interesse der jungen Leute geht gegen Null. Die Geschichte wird nicht mehr verbreitet“, weiß er. Doch gerade in der jetzigen Zeit sei es wichtig, durch geschichtliches Wissen Zusammenhänge zwischen Völkern zu verstehen.
Neben dem Bestand an Büchern, biete die Herder-Bibliothek auch Veranstaltungen an, bei denen Referenten ihr Fachwissen zu bestimmten historischen Ereignissen teilten.  „Vor Kurzem hatten wir beispielsweise einen Vortrag über die Beziehung zwischen Russland und der Ukraine“, verrät der Vorstandsvorsitzende.


Während literarische und musikalische Darbietungen früher noch das Programm zahlreicher Abende füllten, beschränkten sich kulturelle Veranstaltungen der Herder-Bibliothek heute auf ein Minimum. „Als Verein leben wir ausschließlich von den Vortragsveranstaltungen“, berichtet  Gorski enttäuscht.


Um die Bibliothek, die zum 35-jährigen Bestehen noch den Erfolg von 50 000 ausgeliehenen Büchern verzeichnete, stehe es heute anders. Grund dafür sei vor allem der Umzug des Bücherbestands im Jahr 2012, davor sei vieles anders gewesen. Besser – aus Sicht des Vorstandes  „Der Gründer unseres Bücherbestands, Karl-Heinz Weber, hat es vor 50 Jahren geschafft, eine Bibliothek für die Öffentlichkeit aufzubauen“, erinnert sich Gorski. Durch sein Engagement habe sich die Stadt Siegen für entsprechende Räumlichkeiten eingesetzt und ihnen eine kostenlose Etage in der Bismarckstraße zur Verfügung gestellt. Als die Stadt Siegen das Gebäude 40 Jahre später verkaufte, sei der Herder-Bibliothek der kulturelle Boden weggezogen worden.


Im SZ-Gespräch verdeutlicht Dr. Dietmar Gorski die Situation, mit der der Verein konfrontiert sei. „Was macht man mit 30 000 Büchern? Wir haben sie abgegeben.“  Eine Bibliothek in Berlin und die Universität Viadrina hätten Teile des Siegener Bestandes aufgenommen. „Manche Bücher mussten vernichtet werden“, bedauert der Vorsitzende noch heute. Alternative Räumlichkeiten seien bis heute nicht gefunden worden. Der Restbestand an Büchern warte heute in vier Regalen in der abgelegenen Fludersbach darauf, gelesen zu werden. Zwar schätze man, so Gorski, die Bereitstellung des jetzigen Standorts, dieser habe jedoch einen großen Nachteil: „Kein Mensch kommt hier hin.“


„Wir stehen mit der Herder-Bibliothek Siegerland und ihrem Vorsitzenden im Austausch“, heißt es auf Anfrage bei der Stadt Siegen, die der Büchersammlung zusätzlich einen Raum im Siegerlandmuseum zur Verfügung gestellt habe. „Zudem weisen wir immer wieder darauf hin, dass die Bestände der Bücher digitalisiert werden könnten“, argumentiert die stellvertretende Pressesprecherin der Stadt, Claudia Scheffler, im Austausch mit der SZ. Auf den Vorschlag reagiere der Vorstand allerdings nicht.


Die Stadt sei sich darüber hinaus der Problematik des abnehmenden gesellschaftlichen Interesses bewusst. „Das Versterben von Zeitzeugen und die immer größer werdende zeitliche Distanz sind weitere Schwierigkeiten“, weiß Scheffler.
 
Zurück zum Seiteninhalt