Veranstaltung Prof. Dr. Dr. h.c. Gelbert Gorning - Herder Bibliothek

Direkt zum Seiteninhalt
Dem Osten zugewandt....
Vortrag von Prof. Dr. Dr. h.c. Gelbert Gorning im Feb. 2020                                                                    


Ach, Europa!
Ist die Europäische Union eine Wertegemeinschaft?
Marburger Universitätsprofessor Gilbert Gorning zu Gast bei der Herder-Bibliothek.

rö ■  „Ach, Europa!“ Diesen Klageausruf hat man zuletzt europaweit nicht nur rund um das Brexit-Debakel nur von diversen politischen Europa-Gegnern gehört, sondern auch von Bürgern allgemein. Der vermeintliche Moloch Brüssel habe gerade in der jüngsten Vergangenheit viele negative Spuren hinterlassen – sei es wegen Diskussionen über Schadstoffbelastungen durch die Landwirtschaft, sei es bei dem Gezänk um die Aufnahme von Flüchtlingen. Bei allem hätten offensichtlich viele Menschen vergessen, dass der Beginn des Projekts Europa ein Friedensprojekt gewesen sei. So äußerte sich Prof. Dr. Dr. h.c. Gilbert Gorning in seiner Einleitung zu seinem Vortrag „Ist die Europäische Union eine Wertegemeinschaft?“ im Rahmen der regelmäßigen Veranstaltungen der Herder-Bibliothek Siegerland.
Dabei verwies der Marburger Rechts- und Politikwissenschaftler zur Erläuterung auf die sogenannte Schuman-Erklärung vom 9. Mai 1950, die der Beginn für eine Zusammenlegung der deutschen und französischen Kohle- und Stahlproduktion nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen sei. Er fügte an, dass es den Initiatoren Robert Schuman und Jean Monnet damals zunächst um die Kontrolle der Kohle- und Stahlproduktion jenseits des Rheins gegangen sei. Die Montanunion sollte sicherstellen, dass das damalige Westdeutschland diese beiden Schwerindustrie-Produkte keinesfalls wieder zur Herstellung von Rüstungsgütern missbrauchen kann.
Nach Ansicht des Referenten ist festzuhalten, dass aber bereits zu jenem Zeitpunkt vor allem die damalige Jugend dies- und jenseits des Rheins zu einer neuen Völkerverständigung aufgebrochen sei und einen Abbau der Schlagbäume an den Grenzen gefordert habe.

Nach einer kurzen Skizzierung des europäischen Weges von der Montanunion über die römischen Verträge von 1957 zur Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) bis zum Vertrag von Maastricht und die EU-Osterweiterung ging der ehemalige Hochschullehrer der Marburger Philipps-Universität der Frage nach, was die Europäische Union als Wertegemeinschaft bedeuten könne, als die sie in der politischen Diskussion vielfach beschworen werde.
Dabei nahm Gorning zunächst Ungarn in den Fokus seiner Betrachtungen – und zwar im Rahmen der sogenannten Berliner Erklärung vom 25. März 2007, wonach die damals von Ungarn beabsichtigte Einführung der Todesstrafe den EU-Richtlinien widerspreche.
Sein nächster juristischer Blick galt Polen, wo die dortige PIS-Regierung mit ihrem „Maulkorb-Erlass“ für berufene Richter eindeutig gegen europäisches Recht verstoßen habe. Die juristische europäische Grundlage dafür sei Art. 2 des EU-Vertrags: „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören.“ Diese Bestimmungen seien von allen Mitgliedsstaaten einzuhalten.
Der Referent erinnerte daran, dass neben der Bezugnahme sowohl auf die griechische Philosophie als auch auf das römische Recht ebenso die Moralvorstellungen des christlichen Abendlandes – nicht zuletzt bei der Charta der Grundrechte – als maßgebende Wegweiser gedient hätten. Dazu zähle die Freiheit der Meinungsäußerung. Deshalb stimmte es den Rechts- und Politikwissenschaftler nachdenklich, wenn laut neuesten Umfragen angeblich 58 Prozent der Deutschen sagten, dass sie sich zu einigen Dingen nicht mehr oder nur noch sehr vorsichtig äußerten.
In diesem Zusammenhang ging Gorning besorgt auf die aktuelle Situation an vielen Hochschulen ein, an denen seiner Auffassung nach mittlerweile teilweise – wie beispielsweise in der Gender-Politik – ein regelrechtes Redeverbot herrsche. Für ihn dabei besonders erschreckend sei, wie dabei von angeblich höheren moralischen Positionen aus argumentiert werde.
Ein heikles Feld für den auch im Kirchenrecht promovierten und habilitierten Wissenschaftler: Religionsfreiheit. Er gab zu bedenken, dass bei der Entstehung des deutschen Grundgesetzes nach den schrecklichen Erfahrungen im Dritten Reich in erster Linie an Juden, Katholiken und Protestanten gedacht worden sei. 1949 habe noch niemand an eine spätere Zuwanderung von Millionen Muslimen und deren Vorschriften wie dem Schächten von Tieren, Halal-Fleisch, das Tragen eines Kopftuchs usw. gedacht.
In diesem Zusammenhang erwähnte Gorning den Juristen Udo Di Fabio, der von 1999 bis Dezember 2011 Richter des Bundesverfassungsgerichts war. Dieser vertrete die These, dass die muslimischen Vorschriften nicht zu den Grundrechten der Charta der Grundrechte gehörten. Di Fabio habe erklärt, dass es auch für Muslime kein „Grundrecht deluxe“ gebe. Zurückkommend auf den Gleichheitssatz vertrat der Referent die Ansicht, dass damit nicht der Anspruch gemeint sei, dass alle gleich viel Geld verdienen müssten. Dies seien Forderungen, die dem Sozialismus, dem Stalinismus und dem Maoismus entstammten.
Zugleich wies Gorning darauf hin, dass vor allem die neuen EU-Bürger aus den ehemaligen sowjetischen Satellitenstaaten lernen müssten, dass auch für die Mächtigen im Lande das Gleichheitsprinzip gelte. Daher lobte er die Massendemonstrationen gegen die Korruption in Rumänien.
Ein Schwerpunkt seines Vortrags befasste sich mit dem Minderheitenschutz. Dabei verwies der Professor auf die nationalen Minderheiten Friesen, Dänen und Sorben. Allen sei gemeinsam, dass nicht sie sich als Gruppe, sondern dass sich in der Vergangenheit die Grenze bewegt habe. Dies ist seines Erachtens das Hauptunterscheidungsmerkmal gegenüber allen Einwanderern.
Sorgen macht sich Gorning hinsichtlich der Staatsvorstellungen mancher „Ökobesorgter“. Ihn erschreckt deren teilweise offene Forderung nach einer „Öko-Diktatur“ und wertet diese zugleich als eine Hinwendung zum „Sozialismus durch die Hintertür“.
Alles in allem zog der Redner eine kritische Bestandsaufnahme hinsichtlich der aktuellen Situation in Sachen Rechtsstaatlichkeit hierzulande: Viele Täter werden seiner Meinung nach viel zu früh wieder freigelassen; Clan-Strukturen hätten gerade in Berlin und in NRW lange Zeit ziemlich ungehindert schalten und walten können.

Zurück zum Seiteninhalt