Veranstaltung Prof. Dr. Thomas Heberer - Herder Bibliothek

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Dem Osten zugewandt....
Vortrag von Prof. Dr. Thomas Heberer im Nov 2018                                                                                    

LOKALES SEITE 8 | FREITAG 28. DEZEMBER 2018
Der Chinese aus Königsberg
Vortrag: „Was hat Ostpreußen mit China zu tun?“
sz Siegen. Die letzte Vortragsveranstaltung der J. G.-Herder-
Bibliothek im laufenden Jahr stand unter dem Thema „Ostpreußen
und China – Was hat Ostpreußen mit China zu tun?“. Zu Gast war
Prof. Dr. Thomas Heberer, Politikwissenschaftler und Sinologe von
der Universität Duisburg-Essen.
Schon in der Biografie des Referenten lässt sich eine Beziehung
zwischen Ostpreußen und China erkennen: Er sei Nachfahre von
„Salzburger Exulanten“, die im 18. Jahrhundert als Protestanten vom
dortigen Bischof vertrieben worden seien und dann als
Glaubensbrüder im protestantischen Ostpreußen eine neue Heimat
gefunden hätten, so Heberer. Seine Verbindung zu China ergab sich
aus seiner mehrjährigen Tätigkeit als Lektor und Übersetzer in
Peking. Die Verbindung zu China wurde durch seine Heirat mit einer
Chinesin gefestigt. Seit Anfang der 80er-Jahre hält er sich
regelmäßig zu Feldforschungen in China auf.
So entdeckte er kulturelle und politische Beziehungen zwischen
Ostpreußen und China. Im 18. Jahrhundert wirkte mit Gottlieb Bayer
ein Königsberger an der Begründung der europäischen Chinakunde
mit. Deren Professionalisierung wurde im 19. Jahrhundert durch Prof.
Carl Arendt, ebenfalls ein Königsberger, vorangetrieben, der auch an
der deutschen Kolonialpolitik in China beteiligt war. Die
Dokumentation der chinesischen Architektur hatte sich der aus dem
Memelland stammende Prof. Ernst Boeschmann zur Aufgabe
gemacht. Ein anderer Memelländer, Willy Matsal, war in China als
Missionar tätig.
Auch im Bereich der Kolonialpolitik wies der Referent Beteiligungen
von Königsbergern und Ostpreußen auf. Die preußische Ostasien-
Expedition von 1859 bis 1861, die zur Öffnung chinesischer Häfen für
preußische Schiffe führte, stand unter Leitung von Friedrich Graf zu
Eulenburg aus Königsberg. Im sogenannten Boxerkrieg (1900 bis
1901) war der Ostpreuße Julius von Groß als Generalstabschef
beteiligt.
Was das Feld der Geistesgeschichte betrifft, so führe kein Weg vorbei
am Verhältnis der Philosophie Kants und den chinesischen
philosophischen Lehren, insbesondere des Konfuzius. Hier nannte
Heberer Stimmen chinesischer Philosophen und Wissenschaftler, die
eine „Wahlverwandtschaft“ zwischen der Kant’schen Philosophie
und chinesischen Lehren feststellen. In der theoretischen und
Naturphilosophie werde sie darin gesehen, dass beide Seiten von
einer Struktur des Gegensatzes ausgehen: Yin/Yang in China und
Antinomien sowie anziehende und abstoßende Kräfte bei Kant.
In der praktischen Philosophie (Ethik) werde die Pflichtenlehre als
Gemeinsames herausgestellt. Kant selbst, der schon als Kind von
China gehört hatte, hatte augenscheinlich ein ambivalentes
Chinabild: Einerseits habe er China als „kultiviertes Reich“ gesehen,
andererseits festgestellt, dass dessen Gesetze „unterwürfig“
machten. Das Interesse chinesischer Intellektueller an der
Kant’schen Philosophie sei unabhängig davon sehr groß. So habe der
chinesische Philosoph Cao Yuanpei zum 200. Geburtstag Kants 1924
in Königsberg eine Kant-Rede gehalten. Ein anderer Philosoph, Wang
Hui, soll gesagt haben. Kant sei eigentlich Chinese. Heberer zitierte
ferner den Philosophen Nietzsche mit der Aussage: „Kant, der
Chinese aus Königsberg“.
In der anschließenden Diskussion wurde u. a. thematisiert, wie sich
die Wertschätzung Kants auf die chinesische Politik auswirken
könnte. Würde sie der Idee Kants von einem Staatenbund als
Friedensordnung entsprechend eher eine plurale Staatenordnung
verfolgen? Gefragt wurde auch, ob sich die chinesische Pflichtenethik
nicht doch deutlich von Kants unterscheide, da Kant von der
Autonomie der Person ausgehe, die konfuzianische Ethik aber von
der Tradition.


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